Nach offiziellen Angaben waren im hessischen Landtag in der Nachkriegszeit drei ehemalige NSDAP-Mitglieder vertreten. Ein Historiker erklärte nun, dass sich die Zahl der Ex-Nationalsozialisten im Landtag auf 75 belief. Demnach waren in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg im hessischen Landtag weit mehr ehemalige Nationalsozialisten als bislang bekannt war.
Der Oldenburger Historiker Hans-Peter Kausch fand im Rahmen einer Studie heraus, dass im hessischen Landtag mindestens 75 Parlamentarier vertreten waren, die während der Nazizeit Mitglieder in Hitlers Partei NSDAP waren. Dies entspricht nach Angaben von Kausch rund einem Viertel aller Abgeordneten. Bislang wurden nur in drei Fällen frühere NSDAP-Mitgliedschaften in offiziellen biografischen Darstellungen genannt.
Im Auftrag der Fraktion der Linken untersuchte Kausch für die Zeit bis zum Jahr 1983 die Lebensläufe von insgesamt 333 Abgeordneten. Sie waren bei Kriegsende 1945 im Alter von mindestens 18 Jahren. Ehemalige Parteigenossen befanden sich nach Angaben des Historikers mit Ausnahme der KPD in nahezu allen Fraktionen. Die Meisten saßen anteilig in der FDP.
Bei der Veröffentlichung seiner Ergebnisse warnte Kausch davor, jemanden ausschließlich aufgrund der NSDAP-Mitgliedschaft im Nachhinein zu verurteilen. Schätzungsweise gebe es nach Angaben des Historikers auch rund ein Dutzend schwer belastete Nazis. Sie konnten in Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nahezu ungehindert politische Verantwortung übernehmen. Ähnliche Studien hatte die Linke bereits für die Landtage in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vorgestellt.
Im Hannover Landtag machten in den Nachkriegsjahren 71 ehemalige Nationalsozialisten Politik. Mit Blick auf den Düsseldorfer Landtag ist von 41 Parlamentariern die Rede. Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Linken in Hessen, erklärte mit Blick auf die Studienergebnisse, dass es erschütternd sei, dass der hessische Landtag in der Nachkriegszeit über 20-mal mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder zählte als bislang offiziell bekannt war. Nach Ansicht von Schaus mahnen die Studienergebnisse zur Aufarbeitung. Auch nach Ansicht von Andrea Ypsilanti war die Aufarbeitung der „braunen Vergangenheit“ längst überfällig.